Eine deutsche Erfindung, auf die niemand stolz sein sollte
Waffen aus dem 3D-Drucker hatten viele Fehlstarts. Aber das könnte sich ändern.
In diesem Substack möchte immer wieder auch über die Arbeit von wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen berichten, die normalerweise nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. Heute ist mein Kollege Rajan Basra dran, der sich seit fünf Jahren wie wahrscheinlich kein anderer Forscher auf der Welt mit dem Thema Waffen aus dem 3D-Drucker beschäftigt. Wer mehr wissen will, findet zusätzliche Infos in Rajans 2023 erschienenen Report.
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Waffen aus dem 3D-Drucker gibt es bereits seit dem Jahr 2013. Aber das damals vorgestellte Modell namens Liberator war nur auf einen einzigen Schuss ausgelegt und fiel häufig nach der ersten Benutzung auseinander. Erst sieben Jahre später – im Frühjahr 2020 – kam es zur Entwicklung einer stabileren, semi-automatischen Waffe – die „FGC-9“ –, die aus frei erhältlichen Teilen besteht und ganze Magazine abschießen kann. Seitdem ist eine weltweite, hauptsächlich rechtsextreme oder rechtslibertäre Subkultur entstanden, die die Verbreitung von 3D-Waffen propagiert.
Der Erfinder der FGC-9 war der damals 27-jährige Deutsch-Kurde Jacob Duygu aus Hannover, der sich im Internet als „JStark1809“ ausgab. Duygu war eine Person mit schweren persönlichen und psychischen Problemen und wurde der misogynen Incel-Szene zugerechnet.
Ganz offensichtlich hatte er jedoch auch ein Talent für Elektronik und baute mit der FGC-9 eine Waffe, die die Defizite seiner Vorgänger behob. Passend dazu verfasste er einen zweihundertseitigen Leitfaden, der detailliert erklärt, wie man die Waffe baut und wo man die dafür notwendigen Teile bekommt. Nur ein Jahr nach Vorstellung seiner Erfindung starb Duygu unter immer noch ungeklärten Umständen.
Aus meiner Sicht sind drei Entwicklungen entscheidend:
1. Verbreitung trotz Fehlstarts
In den letzten zehn Jahren lassen sich weltweit mindestens 17 Fälle dokumentieren, in denen 3D-Waffen für politisch motivierte Anschläge, Attentate oder Drohungen verwendet wurden – die meisten davon (16) aus dem rechtsextremen oder rechtslibertären Milieu.
Die große Mehrheit waren „Fehlschläge“. Am bekanntesten ist der Anschlag auf die Haller Synagoge im Oktober 2019, bei der der Attentäter Stephan Balliet eine 3D-Waffe benutzte, die so schlecht funktionierte, dass er damit noch nicht mal die Holztür der Synagoge aufschießen konnte. Auch wenn es ihm anschließend gelang, zwei Menschen nahe eines Döner-Ladens zu töten, war die Aktion aus Sicht der 3D-Waffen-Anhänger kein Erfolg.
Nach Erfindung der FGC-9 nahm die Zahl der Vorfälle deutlich zu, insbesondere in Schweden, Finnland und Großbritannien. Eine besorgniserregende Entwicklung ist die Tatsache, dass zwei FGC-9-Waffen bei einer Gedenkveranstaltung einer IRA-Splittergruppe in Nordirland gezeigt wurden. Es wäre der erste Fall außerhalb des rechtsextremen beziehungsweise rechtslibertären Milieus.
2. Eine globale Bewegung
Die Verbreitung von 3D-Waffen ist Teil einer globalen, virtuellen Subkultur. Die meisten Anhänger dieser Subkultur definieren sich als rechtslibertär. Sie sind der Überzeugung, dass Waffenbesitz ein Menschenrecht ist und jede Person das Recht haben sollte, sich gegen „unterdrückerische Regierungen“ notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen — FGC steht für „Fuck Gun Control“.
Die Bewegung ist vor allem auf Plattformen wie Odysee und Messageboards wie 4Chan (bzw. seinen Nachfolger) sehr aktiv, wo Duygus Tod noch heute betrauert wird. Aus ihrer Sicht war Duygu nicht nur ein talentierter Tüftler mit psychischen Problemen, sondern ein Pionier und Vordenker, dessen Erfindung mehr war als nur eine Waffe, sondern Symbol einer „Freiheitsbewegung“.
Es sind vor allem Anhänger dieser Bewegung, die bisher für die Verbreitung von 3D-Waffen verantwortlich waren.
3. Die wirkliche Gefahr: Kommerzialisierung
Meiner Meinung nach droht die größte Gefahr jedoch nicht von libertären Regierungsgegnern, sondern durch eine Kommerzialisierung von 3D-Waffen.
Wie Balliets Beispiel zeigt, ist die Herstellung von stabilen, gut funktionierenden 3D-Waffen nicht so einfach wie oft suggeriert. Duygus Leitfaden ist zweihundert Seiten lang, und selbst Leute mit handwerklichem Talent brauchen vermutlich Monate, um eine tatsächlich funktionierende Waffe (und die dazugehörige Munition) herzustellen.
Doch mehrfach wurden in den letzten Jahren bereits „Waffenfabriken“ entdeckt, wo 3D-Waffen nach Duygus Anleitung kommerziell hergestellt und im Dark-Web verkauft werden sollten – zuletzt im Februar 2024 in Frankreich.
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Das Angebot an solchen Waffen könnte in den nächsten Monaten und Jahren also dramatisch steigen – speziell dann, wenn irgendein Terrorist ihre (tödliche) „Effizienz“ durch einen Anschlag mit vielen Toten unter Beweis gestellt hat.
Meine Befürchtung: 3D-Waffen sind eine deutsche Erfindung, von der wir leider noch viel hören werden.
*** Update: Unterstützung auch vom Chef des österreichischen Nachrichtendienstes DSN. Den von ihm erwähnten Jahresbericht gibt es hier.
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