Auch wenn es aktuell nicht so scheint: Deutschland war in den letzten Jahrzehnten weniger stark vom dschihadistischen Terrorismus betroffen als etwa Großbritannien und Frankreich. Damit das so bleibt, muss sich Deutschland jetzt auf die neuerliche Bedrohung einstellen.
Keine freie Gesellschaft kann Terrorismus zu hundert Prozent verhindern. Doch die Gefährdung lässt sich verringern, wenn staatliche Ressourcen gezielt und entsprechend den sich verändernden Mustern der dschihadistischen Bedrohung eingesetzt werden.
In einem ersten Schritt muss es deshalb darum gehen, die neue Herausforderung richtig zu verstehen und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.
Hierbei sollen die folgenden Leitlinien helfen:
1. Der Dschihadismus (oder gewaltbereite Islamismus) ist wieder die größte Terrorbedrohung. Verglichen mit 2022 hat die Anzahl der geplanten und durchgeführten dschihadistischen Anschläge in Westeuropa in den letzten zehn Monaten um das Vierfache zugenommen. Wir stehen möglicherweise am Anfang einer neuen Terrorwelle. Dies ist eine dramatische Entwicklung, die sich in der politischen Priorisierung und dem Einsatz von staatlichen Ressourcen widerspiegeln muss.
2. Besonders im Bereich Flucht und Asyl existieren zahlreiche Vulnerabilitäten. In den Jahren seit 2016 waren geschätzt zwei Drittel der dschihadistischen Attentäter und Terrorverdächtigen in Deutschland Flüchtlinge oder Asylbewerber, oftmals männlich und unbegleitet. Alle Instrumente der Terrorismusabwehr — von Überwachung über Frühwarnsysteme bis hin zur Prävention — müssen sich noch stärker auf diesen Problemkomplex konzentrieren. Wünschenswert wäre auch eine stärkere Ordnung des gesamten Verfahrens.
3. Dschihadistische Terroristen werden jünger. Von den etwa sechzig in den letzten zehn Monaten in Westeuropa festgenommenen dschihadistischen Tatverdächtigen waren zwei Drittel Teenager — zum Teil sogar sehr junge Teenager. Bestehende Instrumente der Terrorismusbekämpfung sind für diese neue Risikogruppe in vielen Fällen ungeeignet. Besonders bei der Strafverfolgung und in der Prävention sind neue Ansätze notwendig.
4. Das Internet spielt eine immer größere Rolle bei der Radikalisierung. Noch stärker als vor zehn Jahren nutzen Terroristen das Internet sowohl bei der Radikalisierung als auch in der operativen Planung. Zahlreiche Radikalisierungsverläufe finden heutzutage ausschließlich online statt. Hieraus ergibt sich Handlungsbedarf: mehr politischer Druck auf Plattformen, die von Dschihadisten genutzt werden; stärkerer Einsatz von „virtuellen Agenten“ zur Infiltration geschlossener Chatgruppen; bessere Kompetenzen, Fähigkeiten und Befugnisse bei der Beobachtung virtueller Räume; und ein Ausbau internationaler Kooperation, weil „virtuelle Zellen“ oft über Grenzen hinweg operieren.
5. Mit dem ISPK existiert wieder ein IS-Ableger, der fähig und willens ist, in Westeuropa große Anschläge durchzuführen. Allein in den letzten fünf Jahren konnten ein halbes Dutzend Anschlagspläne des ISPK gegen europäische Ziele verhindert werden. Verglichen mit dem „klassischen“ IS haben sich die Geographien und Tätergruppen dabei stark verändert. Dies muss sich in den Kompetenzen und der Vorgehensweise deutscher Sicherheitsbehörden widerspiegeln.
Kurzum: Der Dschihadismus ist eine ernsthafte und sich ständig wandelnde Bedrohung, die entschieden bekämpft werden muss. Wahr ist allerdings auch: Terrorismusbekämpfung funktioniert am besten, wenn sie früh einsetzt, gezielt ist und sich an einem realistischen Bild der Gefahr orientiert. Weder Verharmlosung noch Überreaktion tragen zu diesem Ziel bei.
Dies ist auch der Punkt, mit dem mein neues Buch Die Rückkehr des Terrors schließt:
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