Das Bekennerschreiben zur TGV-Sabotage
Warum sich die französischen Behörden sicher sind, dass es Linksextremisten waren
Am dritten Tag der Olympischen Spiele ist der Sabotageakt, der am Freitag das TGV-Schnellbahnnetzwerk in ganz Frankreich lahmgelegt hat, fast schon wieder vergessen.
Doch die Behörden haben bei der Suche nach den möglichen Tätern bereits große Fortschritte gemacht.
Wie ein Artikel in der Zeitung Le Parisien berichtet, sind sich die Ermittler inzwischen sicher, dass hinter dem Anschlag linke Anarchisten stecken.
Dafür gibt es vor allem zwei Gründe:
Der erste Grund ist, dass mittlerweile ein ernstzunehmendes Bekennerschreiben existiert, das heute per Email an verschiedene Medien versandt wurde. Die vermeintlichen Täter bezeichnen sich darin als „unbekannte Delegation“ und stellen einen direkten Bezug zwischen dem Sabotageakt und den Olympischen Spielen her.
Ihre links-anarchistische Motivation lässt sich leicht erkennen. So heißt es:
„Sie nennen [die Olympischen Spiele] eine Feier? Wir sehen darin eine Feier des Nationalismus, eine gigantische Inszenierung der Unterwerfung der Bevölkerung durch die Staaten… Unter dem Deckmantel von Spaß und Geselligkeit bieten die Olympischen Spiele ein Experimentierfeld für die polizeiliche Kontrolle der Massen und die totale Überwachung unserer Bewegungen. Wie jedes große Sportereignis sind sie auch immer wieder eine Gelegenheit, die Werte zu verherrlichen, auf denen die Welt der Macht und des Geldes basiert [...] An diejenigen, die uns vorwerfen, den Urlaub der Touristen zu verderben oder die Ferienreisen zu stören, antworten wir, dass dies noch viel zu wenig ist. Viel zu wenig im Vergleich zu einem Ereignis, an dem wir uns mit ganzem Herzen beteiligen möchten: dem Fall einer Welt, die auf Ausbeutung und Herrschaft basiert.“
Die französischen Behörden halten das Schreiben für potenziell authentisch. In der Vergangenheit haben sich Linksanarchisten häufig mit anonymen Emails an Medienhäuser zu ihren Taten bekannt. Hinzu kommt, dass die Email — Absender: sabotagetgvjo@riseup.net — über eine gesicherte Domain verschickt wurde, die regelmäßig in Ermittlungen in diesem Umfeld auftaucht.
(Laut Le Parisien wendet sich RiseUp, dessen Hauptsitz sich im amerikanischen Seattle befindet, speziell an linke, anarchistische und anti-kapitalistische Bewegungen und verspricht eine „komplette Anonymisierung“ des Kommunikationsablaufs.)
Ein zweiter Grund ist, dass der Modus Operandi haargenau dem von links-anarchistischen Gruppen entspricht. Damit ist einerseits gemeint, dass linksanarchistische Gruppen bereits in der Vergangenheit versucht haben, das TGV-Netzwerk durch Sabotageakte lahmzulegen.
Andererseits haben die Ermittler an den Anschlagsorten offenbar Benzinflaschen gefunden, die exakt so präpariert waren wie die Brandvorrichtungen, die bei vorherigen Anschlägen solcher Gruppen verwendet wurden.
In Paris ist man deshalb davon überzeugt, dass die Täter nicht — wie von vielen Twitter-Nutzern gemutmaßt — in Russland zu finden sind, sondern näher der Heimat: im französischen, linkextremistischen Umfeld.
Viele Fragen sind aber nach wie vor offen.
Die Ermittlungen an den Tatorten sind bereits abgeschlossen. Doch Materialproben und mögliche DNA-Spuren müssen noch ausgewertet werden.
Auch wird es noch einige Tage dauern, bis die Überwachungsvideos sowie Metadaten von Handys, die während der Tatzeit nahe der Tatorte registriert waren, vollständig analysiert sind.
Was die Ermittler besonders umtreibt, ist die Tatsache, dass die Saboteure offenbar genau wussten, an welchen Knotenpunkten sich maximaler Schaden für das Streckennetz anrichten ließ. Gab es bei der französischen Bahn also ein Datenleck? Oder gar einen Komplizen?
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