Seit gestern wird mein neues Buch — Die Rückkehr des Terrors — in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgeliefert. Für jeden Autor ist das ein schöner und aufregender Moment. Und zwar nicht nur, weil die eigene Idee damit zur gedruckten und gebundenen Wirlichkeit geworden ist. Sondern auch, weil man weiss, dass sich viele Menschen jetzt mit dieser Idee beschäftigen.
Für Leser der Terrorlage veröffentliche ich heute das Einleitungskapitel, in dem ich einen Überblick über meine Kernthesen und Erkenntnisse gebe. Wer mehr erfahren möchte, kann das Buch ab sofort bestellen. In jedem Fall freue ich mich auf Ihr Feedback!
Einleitung
Im Oktober 2023 ermordet ein Fünfundvierzigjähriger einen schwedischen Fußballfan auf den Straßen von Brüssel, weil dessen Land angeblich den Islam beleidigt hat. Sechs Wochen später ersticht ein Sechsundzwanzigjähriger einen deutschen Touristen in Paris, um die Toten von Afghanistan und Gaza zu rächen. Im März 2024 attackiert ein Fünfzehnjähriger einen orthodoxen Juden in Zürich und zitiert als Rechtfertigung ein Video des Islamischen Staats (IS). Und im Juni versucht ein Fünfundzwanzigjähriger in Mannheim, einen Anti-Islam-Aktivisten anzugreifen, und tötet dabei einen Polizisten.
Alle genannten Attentäter handelten allein und unabhängig voneinander. Sie waren unterschiedlichen Alters, kamen aus verschiedenen Orten, und soweit wir wissen, kannte niemand die jeweils anderen. Dennoch hatten sie etwas gemeinsam: Sie alle verstanden sich als «Soldaten» in einem globalen Krieg, in dem sie und ihre Religion vom Westen und seinen Verbündeten angegriffen werden. Und es war kein Hindernis für sie, dass sie selbst im Westen lebten und Teil westlicher Gesellschaften waren.
Alle Attentate waren — streng genommen — Einzelfälle, begangen von Einzeltätern. Aber die Anzahl dieser Einzelfälle hat sich seit dem Oktober 2023 dramatisch erhöht. Neben den vier erwähnten Anschlägen kam es in Westeuropa in den acht darauffolgenden Monaten zu mindestens dreiundzwanzig weiteren dschihadistischen Anschlägen, Anschlagsversuchen oder Anschlagsplanungen — mehr als viermal so viele wie im gesamten Jahr 2022. Die These dieses Buches ist, dass Europa am Anfang einer neuen terroristischen Welle steht, die den Kontinent noch jahrelang beschäftigen wird.
Die Rede von einer neuen Welle ist weder übertrieben noch alarmistisch. Sie basiert auf der Theorie des Terrorismusforschers David C. Rapoport, der zeit seines Lebens die Muster von terroristischen Bewegungen studiert hat. Wie das Buch zeigt, durchlief Europa in den vergangenen Jahrzehnten bereits zwei solcher Wellen, die jeweils etwa zehn Jahre dauerten. Sie begannen mit einem «einschneidenden Ereignis», worauf eine Phase der Radikalisierung und Repression sowie ein Generationswechsel innerhalb der dschihadistischen Bewegung folgte. Am Ende standen in beiden Fällen eine Gegenreaktion und Erschöpfung.
Der Kristallisationspunkt diesmal ist die Terroroffensive der Hamas vom 7. Oktober 2023 sowie der darauf folgende Konflikt im Nahen Osten. Diese verschafften der zum Beginn der Dekade darniederliegenden dschihadistischen Bewegung nicht nur einen massiven Motivationsschub, sondern auch ein neues Radikalisierungsnarrativ. Die Welle, die jetzt bevorsteht, hat vor allem drei Gesichter: die ambitionierten und zum Teil hochprofessionellen Terroristen des Islamischen Staats Provinz Khorasan (ISPK), die sehr jungen, hauptsächlich im Internet radikalisierten «TikTokDschihadisten» und den staatlich gesponserten Terrorismus der iranischen Revolutionsgarden sowie ihrer Partner in der sogenannten «Achse des Widerstands».
Die unterschiedlichen Akteure handeln nicht notwendigerweise gemeinsam, und ihre Ziele und Motivationen weichen zum Teil sehr stark voneinander ab. Doch sie alle haben Europa und europäische Gesellschaften im Visier. Mehr noch: Sie bedrohen die Idee eines pluralistischen Europas, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft und Identität friedlich zusammenleben. Besonders europäische Juden und jüdisches Leben in Europa stehen bereits unter Druck. Sollte die Entwicklung an Fahrt gewinnen, besteht außer- dem die Gefahr einer noch tieferen Spaltung der europäischen Gesellschaften und eines «reaktionären» Terrorismus von rechts. In einer Situation, in der der Kontinent ohnehin mit Krisen und Polarisierung kämpft, könnte eine neue Terrorismuswelle so zum politischen Brandbeschleuniger werden.
Die gute Nachricht ist: Es gibt keinen zwingenden Grund, weshalb die bevorstehende Welle so viele Anschläge produzieren muss wie die letzte. Die Geschichte zeigt, dass vom Anfang bis zum Höhepunkt einer Welle meist zwei bis drei Jahre vergehen. Das bedeutet: Wenn Politik, Sicherheitsbehörden und Gesellschaft jetzt das Richtige tun, können die schlimmsten Auswirkungen verhindert werden. Hierauf aufmerksam zu machen, ist der Sinn und Zweck dieses Buchs.
Die folgenden Kapitel beleuchten sowohl historische als auch aktuelle Entwicklungen im Bereich des dschihadistischen Terrorismus. Ihr Fokus liegt auf Westeuropa, und sie beruhen auf einer Reihe unterschiedlicher Quellen, die das Phänomen so umfänglich wie möglich abzubilden versuchen. Dazu gehört eine systematische Auswertung aller öffentlich verfügbaren Daten zu terroristischen Anschlägen sowie Anschlagsplänen und ihre Veranschaulichung in verschiedenen Tabellen (siehe Kapitel 5 bis 7). Eine weitere Quelle bilden Gespräche mit fast fünfzig Personen aus einem halben Dutzend europäischer Staaten, die sich mit Terrorismus und Terrorismusabwehr befassen oder davon betroffen sind. Besonders aufschlussreich waren Diskussionen mit Vertretern von Sicherheitsbehörden, die in den meisten Fällen darum gebeten haben, nicht namentlich zitiert zu werden. Alle Interviews wurden im April und Mai 2024 geführt.
Das Buch besteht aus drei Teilen, die miteinander in Verbindung stehen. Im ersten Teil geht es um die Logik dschihadistischer Wellen. Kapitel 1 gibt einen kurzen Überblick über die Ursprünge, Entwicklung und Spielarten des Dschihadismus und erklärt, wie eine Bewegung, deren Wurzeln in der mehrheitlich muslimischen Welt liegen, den Westen erreichte. Kapitel 2 und Kapitel 3 beschreiben die zwei dschihadistischen Wellen, von denen Westeuropa in vergangenen Jahrzehnten betroffen war: die Welle, die von den Terroranschlägen auf die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 ausgelöst wurde, und die sogenannte Syrien-Welle, die mit dem Konflikt in Syrien zu Beginn der 2010er-Jahre ihren Anfang nahm.
Im zweiten Teil geht es dann um die bevorstehende Welle. Kapitel 4 behandelt die Auswirkungen der Ereignisse vom 7.Oktober 2023 und zeigt, wie diese zum Auslöser und Katalysator einer neuen terroristischen Welle wurden. Die darauffolgenden Kapitel beschreiben die verschiedenen Elemente, die während dieser Welle eine Rolle spielen werden: den ISPK, den aktuell aggressivsten Ableger des IS, der mit aller Macht versucht, Anschläge in Europa durchzuführen (Kapitel 5), den Aufstieg sogenannter TikTok-Dschihadisten, zum Teil sehr junger Teenager, die sich mithilfe der sozialen Medien radikalisieren (Kapitel 6), und die Rolle des Iran und seines internationalen Netzwerks, der sogenannten «Achse des Widerstands» (Kapitel 7).
Der dritte Teil des Buchs beschäftigt sich mit den Konsequenzen und Herausforderungen für Europa. Dabei stehen besonders zwei Aspekte im Vordergrund: Kapitel 8 widmet sich der Situation europäischer Juden, die sich durch die Auswirkungen des 7. Oktober, steigenden Antisemitismus und die Gefahr dschihadistischer Anschläge existenziell bedroht fühlen. Kapitel 9 erklärt, wie ein erstarkender Dschihadismus die gesellschaftliche Polarisierung und sogar den Rechtsterrorismus befeuern könnten.
Das Buch endet mit einer Reihe von Leitlinien, die dabei helfen sollen, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Die wichtigste davon ist: Wir müssen jetzt handeln, damit die Welle nicht noch weiter an Fahrt aufnimmt. Denn schon heute ist klar: Europa steht ein schwieriger Spagat zwischen Terrorismusabwehr und gesellschaftlichem Zusammenhalt bevor. Für die Idee eines demokratischen und pluralistischen Europas wird die Rückkehr des Terrors dadurch zum zentralen Test.
Die Rückkehr des Terrors ist ab sofort bestellbar. Wer mit mir diskutieren möchte, findet Infos zu Veranstaltungen auf der Webseite von Rowohlt Berlin.
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