Israel hat in den letzten vier Wochen große militärische Erfolge erzielt. Doch wie kann es diese Erfolge in einen dauerhaften strategischen Sieg verwandeln?
Meine Meinung: Israel sollte von der geplanten Bodenoffensive ablassen und stattdessen seine aktuelle Position der Stärke dazu nutzen, um einen für sich vorteilhaften Waffenstillstand zu verhandeln. Die Chancen dafür sind besser denn je.
Israels militärischer Erfolg steht außer Frage. Der jüdische Staat hat seinen gefährlichsten Nachbarn — die libanesische Miliz Hisbollah — innerhalb weniger Wochen praktisch besiegt:
Neben Generalsekretär Hassan Nasrallah wurden fast die gesamte Führungsriege und viele Anführer der Radwan-Spezialeinheiten getötet;
Ein Großteil des „mittleren Managements“ sind ebenfalls tot oder verletzt;
Das Kommunikationssystem der Gruppe liegt komplett darnieder;
Ein Teil des Raketenarsenals ist bereits zerstört; die Produktion von weiteren Raketen gestoppt.
Das Ergebnis: Die einst so mächtige, stolze und in großen Teilen des Nahen Ostens bewunderte Terrormiliz ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie ist nicht nur militärisch geschwächt, sondern führerlos und vollständig kompromittiert. Es wird Jahre dauern, bis sie sich erholt hat.
Der größte Schaden ist dabei nicht materiell, sondern psychologisch: Israel hat die Hisbollah nicht nur zerstört, sondern gedemütigt.
Doch was jetzt?
Für Israel muss die Versuchung groß sein, genau zu diesem Zeitpunkt die lang erwartete Bodenoffensive im Süden des Libanons zu starten.
Im Unterschied zu 2006, als sich Israel bei einer ähnlichen Bodenoffensive eine blutige Nase holte, ist die Hisbollah diesmal so schwach, dass sie den Israelis kaum etwas entgegenzusetzen hätte.
Israel könnte auf diese Weise eines seiner wichtigsten Ziele erreichen, nämlich die Hisbollah hinter den strategisch bedeutenden Litani-Fluss zurückzudrängen.
Der Norden Israels, aus dem im letzten Jahr 80.000 Menschen fliehen mussten, würde dadurch wieder bewohnbar. Ein Großteil der Hisbollah-Raketen könnten das Land nicht mehr erreichen. Und selbst solche mit längerer Reichweite wären leichter abzufangen.
Für viele Israelis und Israel-Unterstützer ist eine Bodenoffensive deshalb logische Konsequenz dessen, was sich das Land in den letzten Wochen militärisch „erarbeitet“ hat.
Aber ist das wirklich so?
Wenn Israel im Süden Libanons einmarschiert, würde es automatisch zur Besatzungsmacht. Denn Proxys oder „Stellvertreter“ — wie einst die von Israel unterstützte Südlibanesische Armee — gibt es diesmal nicht.
Israels Gegnern fiele es unter diesen Umständen leicht, den „Widerstand” neu zu mobilisieren:
Sogar Libanesen, die sich über die Niederlage der Hisbollah insgeheim freuen, würden sich gegen den „Feind von außen” solidarisieren.
Der Iran und seine Alliierten hätten eine Ausrede, den militärischen und politischen Druck auf Israel weiter zu erhöhen.
Und der Westen fände es noch schwerer, Israel weiterhin zu unterstützen.
Mit anderen Worten: Der militärische Vorteil, den Israel momentan genießt, wäre innerhalb kurzer Zeit verbraucht. Und Israel wäre im Ergebnis nicht sicherer, sondern befände sich in einer militärischen und strategischen Sackgasse.
Was also tun?
Israel ist in der strategisch stärksten Position seit Beginn des aktuellen Konflikts. Sowohl der Westen als auch die arabischen Staaten — und möglicherweise sogar der Iran — wollen keine weitere Eskalation.
Statt im Libanon einzumarschieren, sollte Israel deshalb seine Stärke nutzen, um einen Waffenstillstand herbeizuführen, der sein zentrales strategisches Ziel beinhaltet — also einen Rückzug der Hisbollah hinter den Litani-Fluss.
Die Chancen dafür sind besser denn je. Der Westen — und speziell Amerika — würde einen solchen Deal mit voller Kraft unterstützen. Und selbst die Gegner Israels sähen angesichts der Schwäche der Hisbollah darin wahrscheinlich das kleinere Übel.
Nicht zuletzt hätte Israel auch das Völkerrecht auf seiner Seite, denn der Rückzug der Hisbollah aus dem Süden Libanons ist seit 2006 in einer UN-Sicherheitsratsresolution festgeschrieben.
Fazit: Israel hat aktuell die Chance, einen für sich vorteilhaften Waffenstillstand zu verhandeln und einen strategisch bedeutsamen Sieg zu erringen. Es sollte sie unbedingt nutzen.
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