Wer sind die neuen Teenager-Terroristen?
Was ein Fünfzehnjähriger aus Brandenburg mit den vereitelten Taylor-Swift-Anschlägen in Wien zu tun hat
Noch vor zehn Jahren hätte es wie Science-Fiction geklungen: Ein 15-jähriger Teenager aus Brandenburg und ein 19-jähriger aus Wien treffen sich im Internet. Der 15-Jährige lockt den 19-Jährigen in einen privaten Chat, radikalisiert ihn und drängt ihn zu Anschlägen. Schließlich kommt der 19-Jährige auf die Idee, die Konzerte der Popsängerin Taylor Swift anzugreifen, und rekrutiert einen 17-jährigen Komplizen. Über Wochen planen die beiden den Angriff und stehen kurz vor der Durchführung.
Doch wie Recherchen des RBB zeigen, scheint genau diese Entwicklung hinter den geplanten Anschlägen zu stehen, die im August zur Absage von drei Taylor-Swift-Konzerten in Wien führten.
Der Fall wäre vor zehn Jahren noch als unrealistisch betrachtet worden, weil man davon ausging, dass auch bei der Online-Radikalisierung ein Offline-Element, wie etwa ein radikaler Prediger, notwendig sei. Dass ein Radikalisierungszyklus vollständig im Internet ablaufen könnte, galt den meisten Fachleuten als ausgeschlossen.
Das hat sich mittlerweile geändert. In meinem Buch Die Rückkehr des Terrors beschreibe ich das Phänomen der sogenannten „TikTok-Dschihadisten” — meist sehr junge Teenager, die sich online radikalisieren und ohne jeglichen Offline-Einfluss zur (terroristischen) Tat schreiten.
Tatsächlich waren von den etwa 60 dschihadistischen Terrorverdächtigen, die in den letzten elf Monaten in Westeuropa verhaftet wurden, fast zwei Drittel (64 Prozent) zwischen 13 und 19 Jahre alt (siehe Tabelle). Bei nahezu allen gab es deutliche Hinweise, dass ihre Radikalisierung hauptsächlich oder sogar ausschließlich online stattfand. Was vor zehn Jahren noch Ausnahme war, ist heute zur Regel geworden.
Im entsprechenden Kapitel meines Buchs gehe ich ausführlicher auf dieses neue Phänomen ein. Dabei sind mir drei Punkte besonders wichtig:
Mit der Verjüngung und Verlagerung ins Internet geht oftmals eine Verrohung einher. Bei Rechtsterroristen, die sich vorwiegend im Internet radikalisiert haben, sprechen Forscher und Sicherheitsbehörden in diesem Zusammenhang bereits seit Jahren vom „Pick-und-Mix”- beziehungsweise vom „Salatbar”-Ansatz. Diese Konzepte beschreiben, dass sich Radikalisierte aus ideologischen Versatzstücken, die sie bei Bloggern und Influencern aufklauben, ihr eigenes Ideengebäude zusammenbasteln. Genau dies beobachten die Sicherheitsbehörden jetzt auch bei Dschihadisten. Unterschiede zwischen den islamistischen Strömungen und Gruppen werden dabei weniger wichtig, weil sie den Betroffenen entweder egal sind oder gar nicht verstanden werden. Der Chef des österreichischen Nachrichtendienstes Omar Haijawi-Pirchner drückt es folgendermaßen aus: „Was da passiert, ist mehr Gewaltfantasie als Ideologie.“
Eine weitere Konsequenz: Radikalisierungs- und Rekrutierungsprozesse werden unabhängiger von physischen Orten. Noch während der Syrien-Welle war das vorherrschende Muster das von regionalen Clustern: IS-Kämpfer kamen überproportional häufig aus Städten, wo bestimmte Prediger aktiv waren oder es radikale Moscheen gab, die die Entstehung lokaler Communitys befördert hatten. Durch die Verlagerung ins Internet entfällt dieser Bezug: Extremistische Communitys bestehen häufiger als in der Vergangenheit rein virtuell, erstrecken sich über verschiedene Orte oder sogar Länder und sind für die Sicherheitsbehörden deshalb schwerer zu lokalisieren. In meinem Buch beschreibe ich zwei „virtuelle Zellen“, die über Landesgrenzen hinweg operiert haben — ganz ähnlich also wie in dem jetzt bekannt gewordenen Fall.
Und drittens: Man sollte die Gefährlichkeit dieses neuen Tätertypus nicht unterschätzen. Natürlich lässt sich anzweifeln, wie kompetent oder effektiv Fünfzehnjährige als Terroristen überhaupt sein können. Es ist sogar wahrscheinlich, dass die allermeisten der Anschlagspläne auch ohne Einschreiten der Polizei gescheitert oder abgebrochen worden wären. Doch wie der geplante Anschlag in Wien und das Attentat auf einen orthodoxen Juden im März 2024 in Zürich zeigen, kann man sich darauf nicht verlassen. Eine echte Gefahr droht, wenn sich der Enthusiasmus und die Gewaltbereitschaft der jungen Möchtegern-Terroristen mit der Kompetenz eines professionellen Terrornetzwerks verbinden würden.
Hieraus ergeben sich eine Reihe von Handlungsempfehlungen:
Unsere Präventionsarbeit muss sich viel stärker auf diesen neuen Tätertypus fokussieren.
Politik und Sicherheitsbehörden müssen dringend darüber nachdenken, welche operativen und juristischen Veränderungen angesichts der Verjüngung potenzieller Terroristen notwendig sind.
Und nicht zuletzt: Wir brauchen deutlich mehr "virtuelle Agenten", die in der Lage sind, die Telegram-Gruppen zu infiltrieren, in denen sich diese jungen Menschen bewegen.
Wie erwähnt: Mehr zu diesem Thema gibt es in meinem neuen Buch Die Rückkehr des Terrors, was vor wenigen Tagen bei Rowohlt Berlin erschienen ist:
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