Die Olympischen Spiele in Paris waren für die Sicherheitsbehörden in Frankreich ein Erfolg: Abgesehen von einer Sabotageaktion von Linksextremisten gleich zu Beginn der Spiele lief das Sportereignis ohne Störungen ab. Doch wie jetzt bekannt wurde, hätte es auch anders kommen können.
Nach Angaben der französischen Zeitung Le Journal du Dimanche haben die französischen Behörden seit Anfang Mai 848 Hausdursuchungen mit Terrorismusbezug durchgeführt, 92 Verdächtige wurden aus Frankreich ausgewiesen und 20 Staatsbürgerschaften aberkannt. In 559 Fällen verhängten die Behörden eine Form von „Hausarrest“; 162 Personen wurden wegen Terrorismusverherrlichung angezeigt.
Einer der Anschlagspläne richtete sich gegen das Stadion in Saint-Étienne, wo mehrere Fußballspiele stattfanden. Tatverdächtig sind zwei Brüder aus Tschetschenien, die mit ihrer Familie letztes Jahr nach Frankreich kamen. Die beiden Teenager hatten das Stadion bereits ausgekundschaftet und ein Video aufgenommen. Laut französischen Behörden waren sie Sympathisanten des IS Provinz Khorasan (ISPK) und standen mit einem Mitglied der Gruppe in Kontakt, das sich in Syrien aufhielt.
Der Anschlagsplan war in mehrfacher Hinsicht typisch: Die Tatverdächtigen sind sehr jung, hatten sich nach allem, was bisher bekannt ist, im Internet radikalisiert, und waren Anhänger des ISPK, dem aktuell ambitioniertesten Ableger des IS, der auch für den Anschlag auf ein Rockkonzert im März in Moskau verantwortlich war.
Ein großer Teil der Ermittlungen der französischen Sicherheitsbehörden konzentrierte sich auf Telegram, wohin sich viele, oftmals sehr junge Dschihadisten zurückziehen, um IS-Videos zu tauschen und Anschläge zu planen.
Genau dies passierte offenbar auch in einer Chatgruppe, die sich im Frühsommer gebildet hatte. Darin prahlte eines der Mitglieder, einen Schulball angreifen zu wollen. Ein Mädchen schrieb, sie wolle „Ungläubige töten und als Märtyrerin sterben“. Und noch im Juni wurde ein Schüler festgenommen, der angekündigt hatte, während der Olympischen Spiele „israelische oder jüdische“ Ziele anzugreifen. In seinem Haus wurden Schusswaffen gefunden.
Ebenfalls typisch — wenn auch auf andere Weise — ist der Anschlagsversuch eines 26-jährigen Ex-Häftlings aus der Nähe von Paris. Er verdeutlicht den slapstickartigen Charakter eines Teils des aktuellen Terrorismus und wäre geradezu lachhaft, wenn das Thema nicht so ernst wäre.
Der Tatverdächtige heißt Derek R. und hatte sich während eines Gefängnisaufenthalts radikalisiert. Am Morgen des 16. Juli besorgte sich R. von einem Freund aus dem Drogenmilieu eine Schreckschusspistole und eine abgesägte Schrotflinte. Am Abend verließ er dann seine Wohnung und machte sich auf den Weg zu einer Synagoge, wo er Juden töten wollte.
Als er in der Nähe der Synagoge ankam, merkte er jedoch, dass das Gebäude stark bewacht war und gab sein Vorhaben auf. Der Plan, stattdessen ein Kino zu überfallen, scheiterte ebenfalls, weil der E-Scooter, mit dem er dorthin fahren wollte, zu wenig Batterie hatte. Auf dem Rückweg in seine Wohnung beschloss er kurzerhand, einen Taxifahrer zu ermorden, der sich aber erfolgreich wehrte. Nach einer zweitägigen Fahndung wurde R. von der Polizei gefunden und festgenommen.
Die verschiedenen Fällen zeigen, wie intensiv die Bedrohung vom dschihadistischen Terrorismus nach einigen Jahren der relativen Ruhe wieder ist. Sie illustrieren aber auch den neuen, sich wandelnden Charakter des Dschihadismus, den ich ausführlich in meinem Buch Die Rückkehr des Terrors beschreibe.
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